„Kommst du Lila“, rief Mummy und stand von der Holzbank auf. Es
war März und ich war vier Jahre alt. Ich saß im Sandkasten und ließ den feinen
Sand durch meine Fäuste rieseln. Noel saß mir gegenüber und blickte mich stumm
an. „Aber Noel geht auch noch nicht“, erwiderte ich mit meiner piepsigen
Kinderstimme. Der Spielplatz war mittlerweile leer, nur noch ich, Mummy und
Noel waren da. „Lila“, die Stimme meiner Mutter wurde ernster. „Es wird schon
dunkel und Noel wird auch bald nach Hause gehen.“ Der Sand rieselte weiterhin
durch meine Hände. Noel blieb stumm. Er sagte nie viel aber das brauchte er
auch nicht. Hauptsache er war da. Ich mochte ihn sehr gerne und ein wenig
beneidete ich ihn. Er hatte immer das tollste Spielzeug mit und die neusten
Sachen. Ich fragte Mummy oft ob ich auch so tolle Sachen bekam wie Noel, aber
sie meinte immer, dass man auch mit alten Sachen gut spielen kann. Noel hatte
keinen Mummy. Es war zumindest nie eine zusehen. Einen Daddy auch nicht. Dafür
beneidete ich ihn auch. Denn niemand schien ihm zu sagen wann er nach Hause
musste. Aber es machte mich auch traurig, weil es dann auch niemanden gab, der
ihn ins Bett brachte und eine Gutenachtgeschichte erzählen konnte.
„Lila, bitte. Es wird kalt. Komm jetzt.“ Unbeholfen stand ich
auf und versuchte aus dem Sandkasten zu klettern
ohne die gebauten Sandburgen und Kuchen zu zerstören. Ich sah mich noch einmal zu Noel um. „Tschüss“, sagte ich und winkte. Noel hob nur kurz die Hand. So schnell wie ich konnte, rannte ich zu Mummy und hielt mich an ihrer Hand fest. Wir liefen zum Tor des Spielplatzes. Ich sah noch einmal über meine Schulter hinweg zu Noel herüber. „Tschüss!“, rief ich noch mal laut. Abermals hob Noel nur die Hand. Mummy sagte nichts.
ohne die gebauten Sandburgen und Kuchen zu zerstören. Ich sah mich noch einmal zu Noel um. „Tschüss“, sagte ich und winkte. Noel hob nur kurz die Hand. So schnell wie ich konnte, rannte ich zu Mummy und hielt mich an ihrer Hand fest. Wir liefen zum Tor des Spielplatzes. Ich sah noch einmal über meine Schulter hinweg zu Noel herüber. „Tschüss!“, rief ich noch mal laut. Abermals hob Noel nur die Hand. Mummy sagte nichts.
Noel war nur ein Jahr älter als ich. Ich hatte ihn an meinem
dritten Geburtstag kennengelernt. Es war Oktober und die Sonne schien noch
immer warm vom Himmel. Ich spielte alleine im Garten, weil Mummy und Daddy
drinnen im Haus noch etwas machen mussten, bei dem ich nicht dabei sein durfte.
„Na na na na, wenn die Sonne scheint und die Blumen blühen ist die Welt so
schön und weit“, summte ich vor mich hin. Das Lied war von meiner Lieblings CD,
Pippi Langstrumpf außer Rand und Band. Auf meinen kurzen Beinen hüpfte ich über
den Rasen, bis ich auf einmal einen Jungen am Gartenzaun entdeckte. Er stand
da, und sah mur zu. Aufgeweckt wie ich war, lief ich sofort zu ihm hin. „Hallo,
ich habe heute Geburtstag“, sagte ich. Der Junge sah mich einfach nur an. „Ich
bin jetzt schon drei.“ Er sagte immer noch nichts. Fragend blickte ich zurück.
„Ich heiße Lila, und du?“ Er schien zu überlegen. „Noel“, sagte er dann
unvermittelt, drehte sich um und rannte weg. Am nächsten Tag stand er wieder am
Zaun. Wieder sagte er nichts, also ließ ich ihn einfach in unseren Garten und
wir spielten den ganzen Tag lang zusammen. „Was hast du denn die ganze Zeit
draußen gemacht“, hatte Daddy am Abend gefragt. „Mit Noel gespielt“, hatte ich
geantwortet. „Mit Noel?“ Er blickte fragend zu Mummy die aber nur den
Kopfschüttelte. Damals, hatte mich das nicht gestört, doch heute frage ich
mich, ob was sie damit gemeint hatte.
Noel war nicht in meinem Kindergarten. Trotzdem stand er
jeden Nachmittag, wenn ich abgeholt wurde, an der Mauer gegenüber der
Eingangstür, und schien dort auf mich zu warten. Er stand immer ganz alleine
da. Wir unterhielten uns kurz und verabredeten uns für den Spielplatz. Nie fragte
er, ob er mit zu mir nach Hause kommen durfte. Mummy fragte auch nie ob er
mitkommen wollte. Überhaupt redete sie nie mit ihm. Auch das wunderte mich
nicht weiter, doch heute frage ich mich, ob sie schon damals eine solche
Abneigung zu ihm hatte.
Wir spielten jeden Tag zusammen. Meistens auf dem Spielplatz,
manchmal auch im Wald oder am Strand. Manchmal sogar bei mir im Garten und ganz
selten betrat er das Haus, indem ich wohnte. Einmal hatte ich ihm mein Zimmer
gezeigt. Er war fasziniert gewesen und hatte sich alles ausgiebig angeguckt.
Meinen Kleiderschrank, meine Spielküche und den Einkaufsladen den Daddy selber
gebaut hatte, aus altem Holz. Mein Bett und meinen Basteltisch. Es war das
einzige Mal, das er in meinem Zimmer war. Noel war immer etwas sonderbar, denn
er spielte immer nur mit mir und
sprach nur mit mir. Sonst mit
niemandem. Vielleicht war das auch einer der Gründe warum er so wichtig für
mich war, warum er mir so viel bedeutete. Ich fühlte mich in seiner Gegenwart
immer wie etwas Besonderes, wie eine Auserwählte. Er gab mir das Gefühl
einzigartig zu sein, und das machte mich stark.